Ein Reisebericht von Sven Klopp vom Frühjahr 2024
In diesem Frühjahr stand die übliche Besuchstour vom 01.05.24 bis zum 05.05.24 nach Lettland an. Wir waren eine entspannte Gruppe in Form der Ehepaare Thieme, Reinecke und Klopp. Da wir genügend Platz haben, waren Thiemes und Reineckes schon am 30.04. zu uns nach Stendal gekommen.
Frohen Mutes und zeitlich entspannt ging es dann gegen 10 Uhr zum Flughafen nach Berlin. In Riga angekommen fuhren wir zuallererst zur Familie Godins, wo wir mit Kuchen und Kaffee gegen 18Uhr versorgt wurden.
Da allerdings noch die Fahrt in Richtung Madona anstand, drängte ich hier zur Eile.
Unser Nachtquartier war hier in der bekannten Mühle Kucuru dziirnavas. Der 02.05. begann dann mit der Fahrt nach Grostona und dem dort üppigen Frühstück. Nach der hinreichenden Stärkung führte uns der Weg nun zum Einkauf im Maxima in Madona und weiter zur Schule Kalna.
Was wir dort zu sehen bekamen, erfreute uns sehr, denn man sieht Fortschritte bei der Sanierung und Erhaltung der Schulgebäude. Kleine zwar, aber eben Fortschritte. Ein in der Mitte zerteilter Traktor Belarus harrte seines weiteren Schicksals ist für uns sicherlich befremdlich, aber die Kinder haben eben absoluten Vorrang. Was uns grundsätzlich freut.
Am Abend des 02.05. traten wir dann die Rückreise nach Riga an und bezogen unsere Hotelzimmer. Hiernach begaben wir uns auf die Suche nach einem geeigneten Lokal für das Abendessen.
Am 03.05. war für mich ein Tag, Helene hatte einem Ausflug nach Bauska und zum dortigen Schloss Rundale geplant, der mich mit brutaler Gewalt auf den Boden holte.
Helene, die älteste Tochter von Edgars und Iveta, arbeitet in einer Kinderpalliativhilfevereinigung und fragte mich, ob ich mal eine Familie besuchen könnte, um zu sehen, wie man helfen kann. Ich bin dann mit Ludwig Thieme, Helene und einer weiteren Mitarbeiterin dort hingefahren. Nach dem Wunsch von Helene, sollten es maximal 2 Personen sein. Es war ein abgelegener 2-Seiten Hof im Grenzgebiet Lettland-Litauen (mitten auf dem Acker). 56°20'04"N 23°58'37"E
Der Mann ist, so der Kenntnisstand ist 44 / 45 Jahre alt. Er hat 5 Kinder, von denen 2 Kinder Multiple Sklerose haben. Eine böse Autoimmunerkrankung. Er selbst kann weder lesen noch schreiben, da seine Eltern schwer alkoholabhängig waren und er, in den Jahren der Neuorganisation des Staats- und Schulwesens in Lettland, von seinen Eltern nicht zur Schule geschickt wurde. Weiterhin ist auch seine Ehefrau und Mutter der Kinder alkoholabhängig und hat die Familie verlassen.
Ich habe in den vielen Jahren, in denen ich nach Lettland fahre, schon viel gesehen, aber das war in Teilen selbst mir zu doll. Er selbst kümmert sich, im Rahmen seiner Möglichkeiten, liebevoll um seine Kinder. In den Jahren hat man einen „Scannerblick“ für versteckten Alkohol entwickelt und ich habe nichts gesehen, oder auch nur Hinweise darauf erkennen können.
Das Haus ist ein Lehmbau und in seiner Struktur einfach am Ende. Die Wände teilweise nass und stark sanierungsbedürftig. Ich habe schon viel gesehen, aber dass habe ich 2024 in der Europäischen Union nicht für möglich gehalten. Der älteste Sohn (ca. 16 Jahre) mit MS hat ein Pflegebett, da bei Ihm die Erkrankung weit fortgeschritten ist. Bei dem 2. Sohn wurde die Erkrankung rechtzeitig festgestellt, so dass der Verlauf offensichtlich angehalten, oder vielmehr verlangsamt, werden konnte. Wenn ich das mit meinen Kenntnissen so beschreiben darf.
Dieser Junge hat auf einem Schlafsofa geschlafen, er hatte kein eigenes Bett.
Das Bad und die sanitären Bereiche waren sauber, aber eben, auch für lettische Verhältnisse, nicht zeitgemäß.
Durch die Feuchtigkeit im Haus, bedingt durch Kochen und dass trocknen der Wäsche, waren die meisten Möbel aufgequollen, da sie üblicherweise aus Spanplatten bestehen.
Ein Ersatz aus gleichartigen Möbeln ist dort wenig sinnvoll, da sie den gleichen Schaden erleiden würden. Hier sind nur Vollholzmöbel sinnvoll. Was für die Küchenmöbel dringend notwendig ist.
Nach den Eindrücken musste ich 2 Mal rausgehen und durchatmen. Das war einfach zu doll.
Er war gerade dabei einen neuen Brunnen zu bohren und eine neue Wasserleitung aus Kunststoff zu verlegen. Da der alte Brunnen zu kalkhaltig war.
Nach dem ich mich gesammelt hatte, habe ich gefragt, wie wir hier helfen können. Helene meinte, ob wir eine brauchbare Waschmaschine und ein Bett für den 2 Jungen im Herbst mitbringen können. Dies habe ich nach kurzem Überlegen verneint.
Hier muss sofort geholfen werden und die beiden Dinge beschafft werden.
Wir sind dann nach Bauska gefahren und haben in einem Elektrogeschäft eine Waschmaschine gekauft. Hierbei bestand die Notwendigkeit, dass diese kein Billigprodukt sein sollte und für einen Analphabeten bedienbar sein muss. Also einen Drehknopf für die Programme und einen Taster zum Einschalten, mehr nicht. Dies wurde auch gefunden. Weiterhin musste nun ein Bett in Vollholz beschafft werden. Auch dies gelang. Hier haben wir ein vernünftiges Bett mit entsprechender Matratze gekauft. Ludwig Thieme war mir hier eine große Hilfe.
Zu meiner Freude kannten beide Händler den Mann und die Sachen wurden noch am selben Tag ausgeliefert.
Den Besuch im Schloss Rundale konnte ich nicht wirklich genießen, da mir das gesehene noch schwer nachhing.
Die beiden folgende Tage vergingen dann wie im Flug, mit Ausflügen nach Jurmala und Besichtigungen in Riga. Die Familie Godins hat uns hier am 04.05. auch wieder gut versorgt und mit einer großen Tafel im Garten eine Freude bereitet. Hier konnten wir mit der ganzen Familie gemeinsam zum Mittag essen.
Am Sonntag den 05.05. waren wir dann im Gottesdienst und zur Freude der Familie Godins, mit allen im Lido. So war es auch für Iveta ein entspannter Tag, da sie sich nicht um ein Mittagessen bemühen musste. Der Rückflug erfolgte dann am frühen Abend.
Wir alle haben so unsere „Alltagssorgen“, aber existenziell sind sie nicht. Existenzielle Sorgen habe ich dort gesehen.
Sven Klopp